Mein Platz am Futterhaus

Ich arbeite in der Regel von neun bis halb zwei. In der Zeit ist meine Tochter im Kindergarten und ich sitze in der Küche an meinem zum Schreibtisch umfunktionierten Küchentisch. Von Oktober bis Ende April (in den anderen Monaten geht es nicht wegen des Balkonrasens, auf dem wir keinen Vogelkot haben wollen) habe ich in Sichtweite meines Arbeitsplatzes ein Futterhaus an der Balkonbrüstung befestigt.
Mit Anbruch der Dämmerung, wenn wir noch bei Frühstück sitzen, kommen die Amseln und wühlen sich durch die Kerne, bis sie die von ihnen bevorzugten Erdnusshälften gefunden haben. Dann wagen sich die Kohl- und Blaumeisen heran, allerdings wesentlich vorsichtiger. Sie scheinen auch weniger wählerisch zu sein, was die Sorte der Körner angeht. Als nächstes kommen die Türkentauben, meist im Doppelpack. Sie räumen hinter den Amseln her, da sie auch die Körnchen fressen, die durch das Herumwühlen neben dem Häuschen gelandet sind. Ebenso machen es die Spatzen, die häufig sogar zu fünft oder sechst am Esstisch erscheinen. Eine massive Ringeltaube, die meine Tochter im letzten Jahr Nika getauft hat, erobert sich am späten Vormittag ihren Platz. Dann herrscht meist ein wenig Ruhe, bis die Parade zur Mittagszeit wieder von vorn beginnt.
In den vergangenen Jahren hatte ich auch mal Haubenmeisen zu Besuch oder einen Kleiber. Sogar ein Turmfalke legte mal eine kurze Rast ein. Aber in diesem Jahr sind es „nur” die üblichen Verdächtigen.

Es macht mir große Freude, die Vögel zu beobachten. Nicht nur, dass ich sie schön oder niedlich finde, nein, es gibt mir einfach ein gutes Gefühl, dass sie auch da sind. Dass die Welt belebt ist. Während ich hier sitze, in den Schubfächern meiner Fantasie nach originellen Formulierungen krame, endlos im Netz recherchiere oder mit anderen Menschen an fernen Orten kommuniziere, sind die Vögel einfach da. Ich mag, wie sie hüpfen und herumflattern. Ich mag, dass es ein Leben neben meinem gibt. Wenn sie fliegen, fliege ich ein Stück mit ihnen.

Manchmal würde ich sie gern fotografieren, aber durch die Scheibe gelingt das nicht gut (s.u.). Ich bin auch nicht wirklich in der Lage, die einzelnen Individuen einer Art voneinander zu unterscheiden. Bei mir heißt jede Ringeltaube Nika (wenn mal zwei gleichzeitig da sind, nenne ich sie der Einfachheit halber Nika und ihr Mann). Ich ärgere mich sogar manchmal, wenn sie den ganzen Balkon voll klecksen. Missen möchte ich sie dennoch nicht. Im Gegenteil: Ich glaube, beim nächsten Roman ist es an der Zeit, eine Ornithologin vorkommen zu lassen.

Und vielleicht eine Ringeltaube, die Nika heißt …

Nika und ein Spatz

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